Gratüberschreitung via Biancograt

Region: Bernina

Technische Daten: AD(ZS), 45-50° Gletscher, Kletterei bis III UIAA, stark abhängig von den Verhältnissen

benötigte Zeit:
Hüttenzustieg 2h 45 min, Gipfel Piz Bianco und Piz Bernina inkl. Abstieg zur Marco E Rosa Hütte 9h
Zustieg Tschiervahütte 12km und knapp 750hm, Gipfeltag 11,7km und 1550hm.

Schon allein von den Zahlen ist herauszulesen, dass man für diese Tour eine solide Kondition benötigt.
Da ich jetzt seit einem halben Jahr fokussiert und strukturiert mit der Hilfe eines Trainers trainiere, waren die Grundvoraussetzungen schon mal geschaffen, um diese Tour anzugehen.

Schauen wir mal, was bergsteigen.com zur Tour sagt:

"Der Biancograt ist eine der ästhetischsten Touren in den Alpen, kaum ein anderer Anstieg hat so viel Ausstrahlung wie die weiße Gratschneide an der Nordseite des Piz Bernina. Der auch als "Himmelsleiter" bezeichnete Grat hat bis heute nichts an seiner Beliebtheit verloren und wird an schönen Tagen von unzähligen Bergsteigern begangen. Der eigentliche Firngrat ist das Mittelstück der Tour. Er wird von einem steilen Felsstück unten und einem Zackengrat oben begrenzt."

Eine der ästhetischsten Touren der Alpen? Mit Niklas hatte ich auch den richtigen Tourenpartner gefunden, um das herauszufinden! So fuhren wir am Freitag bei absolut grausligem Wetter in die Schweiz. Es hat so stark geregnet während der Fahrt, dass ich schon Angst hatte, dass der Felsteil des Grates nass, wenn nicht sogar gefroren ist, da nach der bisher vorhandenen Wärme endlich nachts Temperaturen um den Gefrierpunkt im Hochgebirge angesagt waren!
Meine Befürchtungen sollten nur teilweise wahr werden :)

Aufgrund dem Regen und dem daraus resultierenden Stau hat sich unsere Ankunft in Pontresina massiv verzögert, so kamen wir erst gegen 17:15 Uhr dort am Bahnhof an. Nicht die besten Voraussetzungen, wenn man weiß, dass am nächsten Morgen um 3 Uhr schon Frühstück gibt. Weil der Hüttenzustieg zur Tschiervahütte ist mit 12km und 750 Höhenmetern auch nicht gerade kurz. Vor 2 Wochen war ich schon mal in der Bernina und da haben wir für den Abstieg schon 3 Stunden gebraucht. Naja :) So marschierten wir los, es lief gut, war trocken, und ehe wir uns versahen, standen wir auch schon 2h45min später an der Hütte, nachdem wir durch das malerisch schöne Rosegtal gewandert sind.

Das Essen auf der Tschiervahütte hatte ich von vor 2 Wochen gut in Erinnerung, die Rösti waren.....wahnsinnig gut, aber auch wahnsinnig teuer mit ich meine 18 Franken. Aber leider gab es keine Rösti zum Abend, sondern eine Polenta in einer etwas fragwürdigen Farbe, bedeckt mit etwas, das wohl Gulasch heißen sollte. Naja. Wir wollen uns mal nicht beschweren. Für 80 Franken, die Übernachtung inkludiert, war das doch echt ein Schnapper!

A propos Übernachtung. Die war nämlich zwar sehr bequem durch das tolle Stockbett, aber aus welchem Grund auch immer, wahrscheinlich lag es an der Höhe auf 2600m oder der Aufregung vor der anstehenden Tour, habe ich irre schlecht geschlafen. Und natürlich stresst es etwas, wenn du um 10 ins Bett gehst, und dann den Wecker auf 2:40 Uhr stellst, dir sagst, dass du endlich einschlafen sollst, und aufgeregt vor dem großen Tag morgen bist.

Aber hilft alles nichts, nach 6x einschlafen hat dann um 2:40 Uhr der Wecker seinen Job erledigt und uns aus dem Schlaf geholt. Frühstück runtergezwängt, davon möglichst viel, da der Tag länger geplant war, als er letzten Endes ausfiel, und um 3:40 Uhr ging es dann wie geplant raus in die Dunkelheit. Den Weg bist zum Tschierva-Gletscher gingen wir mit Stirnlampe in völliger Dunkelheit, bis  wir zur Morgenröte auf selbigem die Stirnlampen ausschalten konnten.

Nach dem Gletscher hatten wir Zwei Auswahlmöglichkeiten. auf der einen Seite den Aufstieg links über die Felsen, der einfacher und sicherer ist, oder den Aufstieg rechts, der den Stau links umgeht und deshalb schneller ist. Aus dem Grund entschieden wir uns für diese Variante, überholten so etwa 5 Seilschaften und kamen um 6:15 Uhr kurz nach Sonnenaufgang an der Fuorcla Prievlusa P3467m an. Wir lagen also perfekt im Zeitplan, und hatten nun den Beginn des eigentlichen Grates, der noch nicht ganz so bianco war, erreicht.

Um zum eigentlichen Firngrat, dem Kernstück der Tour zu gelangen, mussten wir noch erst einen Felsteil überklettern. Und hier ist dann auch meine Befürchtung vom Tag davor eingetreten. In der Kletterei im 3. Schwierigkeitsgrad auf den Felsaufschwung ist mir, glücklicherweise bei einem sehr sehr guten Griff, ein Fuß vom nassen/vereisten Tritt gerutscht. Das ist nichts schlimmes, aber wenn der Griff der rechten Hand nicht gut, sowie der andere Tritt ebenfalls nicht gut war, war es trotzdem mit einem kurzen mulmigen Gefühl verbunden. Ich konnte mich also ohne Probleme festhalten, dennoch entschieden wir uns hier, das Seil an der Stelle auszupacken. Man sollte hier immer auf sein Gefühl hören.
Nach diesem kurzzeitigen Zwischenfall betraten wir dann auch den Schneeteil des Grates. Was für eine Schönheit!
Wie diese Schneelinie sich hoch in den Himmel schlängelt hat schon etwas mystisches.

Da wir schon auf knappen 3500m Höhe waren, die wir, völlig unakklimatisiert, auch gespürt haben, sind wir diesen Schneegrat ganz gemütlich hochspaziert. Der Firn war perfekt ausgetreten, das war wie Stairmaster im Fitnessstudio zu gehen :D Der Biancograt eignet sich perfekt als Hochtour recht Früh in der Hochtourensaison, weil gegen später teile des Firngrates dem Blankeis weichen. Das heißt, dass dann kein normaler Eispickel und Leichtsteigeisen mehr reicht, sondern man schwereres Geschütz auffahren muss Immerhin sind teile des Grates bis zu 50° steil, je nach Verhältnissen.

Ab 3700m Höhe hat bei mir die Höhe völlig reingekickt. Ich hatte da einen spürbaren Leistungsabfall, der mich doch zu rgelmäßigen kurzen Pausen zwang. Obwohl Niklas schneller und auch fitter ist als ich, war auch er davon nicht verschont. Schon mal gut, lag es also nicht an meiner mangelnden Fitness ;) Weitere fast 300 Höhenmeter später standen wir dann aber auch am Gipfel des Piz Bianco auf 3995 Metern.

Was für eine Aussicht! Im Osten alle Gipfel von Piz Palü über den Pers und Morteratschgletscher bis zur Bellavista, im Westen Piz Scerscen und Roseg, im Norden Piz Morteratsch. Die Aussicht war phantastisch. Als es den Blick aber richtung Süden zog, und wir den weiteren Gratverlauf sahen, sieht man, dass die eigentlichen Schwierigkeiten noch auf einen warten. Ein gezackter Grat mit einigen Türmchen, über die man klettern muss, sehr ausgesetzt mit mehreren hundert Metern Luft nach unten auf beiden Seiten. Gehen wirs an!

Wir entschieden uns, am laufenden Seil zu gehen, weil eine Sicherung von Standplatz zu Standplatz zu viel Zeit kosten würde, und hier oben aufgrund der höheren Schwierigkeiten auch mehr Stau auftreten würde. Wir behielten Recht! Die Kletterei entpuppte sich als wunderbar luftig, nie zu schwer, so dass man sie eigentlich auch hätte seilfrei gehen können. Da in diesem Gelände aber Fehler mit dem Tod bestraft werden, den wir nicht in Kauf nehmen wollten, war das gehen am laufenden Seil die klügere Variante. Eine Stelle, die mit einem Spreizschritt, oder für besonders wagemutige mit einem Sprung bewältigt werden kann, sah auf den ersten Blick etwas heikel aus, entpuppte sich im Nachgang aber doch als gut machbar. Ist ja klar, sonst wäre die Tour nicht im 3. Schwierigkeitsgrad.

Nach einigem Auf und Ab standen wir dann nach etwa 8h Tour, also genau perfekt im Zeitplan am Gipfel des Piz Bernina auf 4049 Metern Höhe. Mein Dritter Viertausender!

Den Abstieg gingen wir über den Spallagrat, von dem uns einige Seilschaften entgegenkamen. Der Spallagratbesteht im oberen Teil aus einem Felsgrat, den man im 2. Schwierigkeitsgrad erklettert, bzw in unserem Fall, abklettert. Er war komplett trocken, dennoch hatten die aufsteigenden Seilschaften teilweise Steigeisen an, was ich sehr befremdlich fand. Es ist doch viel sicherer, und spart auch Zeit, wenn ich einen langen Felsteil vor mir habe, dass ich dann die Steigeisen ausziehe! Naja, jeder wie er meint.. Nach dem Felsgrat kam ein kurzer aber sehr fotogener Firngrat, welcher im Hintergrund die perfekte Kulisse des Piz Palü und der Bellavista Terrasse bietet. Was für eine Landschaft!

Zu guter letzt noch etwa 3x abseilen, um dann auf den Gletscher unter den Spallagrat und zu den letzten Metern zur Marco E Rosa Hütte zu kommen. Hier wurde es dann heikel. Am letzten Abseilstand war ein Bergführer mit 2 Gästen, die sichtlich Probleme beim Abseilen hatten. Als alle unten waren, waren wir an der Reihe. Wir entschlossen uns, etwas neben Ihnen abzuseilen, damit die Gefahr des Steinschlags vermieden wird. Das Problem war, dass wir dann nicht auf der ausgetretenen Spur des eigentlichen Weges waren und ich mich in Gelände wiederfand, welches etwa 40° steil und sehr vereist war. Also musste ich auf den Frontzacken der Steigeisen Queren um in den eigentlichen Weg zu kommen.

Genauso ging es Niklas, nur dass er leider das Pech hatte, beim ersten Schritt falsch aufzutreten. Sein Steigeisen hatte sich dann verdreht, er den Fuß instinktiv belastet, und ist dann umgeknickt, und diese Flanke, welche gottseidank flach ausläuft, runter gerutscht. Ab dem Zeitpunkt konnte er nicht mehr normal gehen, was sich dann später als Bänderanriss herausstellte. Etwa 9h ab unserem frühen Start morgens kamen wir an der Marco E Rosa mit einem humpelnden Niklas an, und wir überlegten, was wir nun tun. Den ursprünglichen Plan, direkt weiter zu gehen um noch die 3 Gipfel des Piz Palü zu überschreiten, verwarfen wir sofort.

Option 1: Abstieg über den Fortezzagrat bis zur Diavolezza, etwa 10km, Rest mit der Bahn
Option 2: In der Marco E Rosa Hütte schlafen und den Palü am nächsten Tag angehen
Option 3: Helikopter rufen!

Für die Dritte Option haben wir uns dann entschieden, als wir gesehen, haben, dass Niklas' Knöchel anfing, dicker zu werden. Es war schnell klar, dass etwas an den Bändern nicht mehr stimmt, und er den Rest der Tour nicht mehr gehen kann. Glück im Unglück in dem Fall, dass der Unfall so kurz vor der Hütte passierte, bei bestem Wetter, nach Bewältigung der Schwierigkeiten der Tour.

Natürlich ist der Griff zum Telefon um den Heli zu rufen mit gewissen Gefühlen verbunden. Verletzung des Stolz, weil man sich eine "Niederlage" eingestehen muss, Sorgen, ob man ausreichend versichert ist, und die Versicherung den Heli bezahlt, usw. Aber in der Situation muss man alle emotionen weg lassen und den Fakten ins Gesicht schauen:

Man kann die Tour nicht zu Ende gehen, also muss man sich retten lassen!
Dafür bist du doch beim Alpenverein, oder bei Climberprotect versichert!
Im Idealfall natürlich beides! ;)

Also habe keine Hemmung, falls es mal wirklich nötig ist, den Helikopter der Bergrettung zu rufen.

In Summe hatten wir trotzdem einen wundervollen Tourentag, bei phantastischer Kulisse und wunderbar abwechslungsreichem Gelände. Bernina, du bist so schön! Die Pläne für eine Rückkehr sind bereits in der Mache ;)

© 2021 Patrick Wörner

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